Samstag, 13. März 2010

Vietnam





Während Tet ist Vietnam im Ausnahmezustand. Nicht nur, dass Türen zu sonst noch so geschäftigen Läden verschlossen bleiben. Es treiben sich auch Gestalten wie der junge Long rum. Obwohl man sich bis dahin angelernt hat die obligate Startfrage „Where you from“ zu ignorieren oder mit „Kasachstan“ zu beantworten, liess der junge Mann nicht locker. Er erzählte von der Familie, die in Deutschland sei, er so alleine im grossen Hanoi und ich ja auch. Ob man nicht zusammen was unternehmen könnte? Ich sagte zu, nicht zuletzt darum, weil seine nahezu perfekten Deutschkenntnisse seiner Story eine gewisse Authentizität verliehen hatten.

Jetzt war es aber so, dass ich mich zum vereinbarten Zeitpunkt nicht am vereinbarten Ort, sondern in Begleitung einer reizenden jungen Frau befand. Doch Long war da, wo ich auch sein sollte. Das merkten wir, als wir das Gekritzel sahen, dass er auf den Rezeptionstisch geklebt hatte. Wir – oder zumindest ich, der das Versprechen abgegeben hatte – war etwas von meinem Gewissen geplagt. Bis wir ihm am nächsten Tag erneut über den Weg liefen. Diesmal gab es nur Entschuldigungen und natürlich keine Ausreden mehr.

Wir warteten, er kam, wir setzten uns in ein Restaurant, wo er gleich selber das Heft in die Hand nahm. Er kletterte die Treppe hoch in die Küche und war verschwunden. Bis er nach etwa einer halben Stunde mit einem selbst gebackenen Tet-Kuchen zurück kam. Unsere Skepsis war erst dann gänzlich verflogen, als wir nach dem Verzehr der Speise nicht tot umfielen. Aber was wollte er denn nun eigentlich? Die Antwort darauf ist so unspektakulär sympathisch, dass wir den jungen Long wohl noch lange in guter Erinnerung behalten werden. Long wohnte bei einer Gastfamilie. Nun lud die natürlich ihren ganzen Familienclan ein. Ein Fremder bringt gemäss dem Glauben der Vietnamesen in diesem Zusammensein Unglück. Also verzog sich Long. In einem Restaurant quartierte er sich gegen etwas Küchenhilfe ein. Weil seine Freunde bei deren Familien und seine eigene Familie in Deutschland war, blieb Long alleine in Hanoi zurück. Und traf uns. Logisch, oder?

Glauben ist sowieso so eine Sache in Vietnam. Tempel sind nicht wie in Thailand, Kambodscha und Laos ein Ort der Meditation und Ruhe. Vielmehr liegt den Buddhas Müll zu Füssen. Es wird geraucht. Die Gläubigen zahlen sich ihre Sünden vor jeder Schildkröte vom Leib. Das geht ganz schön ins Geld. Alle haben es furchtbar eilig – denn es sind viele Schildkröten. Und Kraniche. Und Buddhas. Und Bäume. Wie war noch mal der Name dieser Zwangskrankheit?

Natürlich sind nicht alle Menschen in Vietnam so wie Long. Viele wollen Business machen. Das kann man ihnen nicht übel nehmen. Massage beispielsweise ist ein ganz grosses Ding in Vietnam. Sie wird von Radfahrern angeboten, die sich durch Rasseln erkennbar machen (ich hielt sie für Drogendealer) und die direkt nach oder noch besser während dem Essen zu Werke gehen. Oder von Coiffeusen, die keine Haare schneiden können. Oder von vollbusigen Prostituierten, die sich nicht mal die Mühe machen diskret zu sein. Unter „Massage Bum Bum very cheap!“ konnte ich mir auf jeden Fall ziemlich gut vorstellen, was gemeint war.

Man kann nicht über Vietnam sprechen, ohne über den Verkehr ein Wort zu verlieren. Nicht wie in Sumatra, wo scheinbar Fernbusse Krankenwagen im Einsatz überholen fahren die Busse langsam und sicher. Das müssen sie auch – bei diesem Verkehr! Die Fahrt von Hoi An in der Landesmitte nach Saigon dauerte so 25 Stunden und war trotzdem irgendwie ganz angenehm. Nicht mehr ganz so angenehm war der Platten am Motorrad, den wir eine knappe Stunde vor Abfahrt des Busses etwa 20km entfernt erlitten. Doch der Schaden war schnell behoben. 15 Minuten Arbeit und ein neuer Schlauch. Was dürfte das kosten? Na, so einen halben Franken natürlich.

Betreffend Essen erlebten wir das ganze Spektrum mit – von der Spaghetti Bolognese mit Tabasco über die Vietnam-Pizza bis zum Gourmet-Wetteifern auf den Strassen von Hoi An („Gestern assen Sie diesen tollen Fisch bei der anderen Köchin aber heute geben Sie meine Mutter eine Chance noch besser zu kochen bitte!“). Der tolle Fisch hiess übrigens „steamed fish with ginger“, ist absolut zu empfehlen und wird von mir mit der höchsten aller für Vietnamesen erdenklichen Auszeichnungen versehen: Ich ernenne ihn an dieser Stelle spontan zum „Ho-Chi-Minh-Fisch“.